"Du ziehst die Jacke aus!"
Freitagsspiele am Bornheimer Hang gehören schon seit einigen Jahren zu meinen Favoriten. Als Bernemer mit Leipziger Wurzeln wohne ich nur wenige Minuten vom Stadion entfernt und die Anstoßzeit um 18.30 Uhr ist auch human. Samstags oder Sonntags um 13.00 Uhr schmeckt das Bier einfach noch nicht und als Morgenmuffel komme ich so früh nicht wirklich in Stimmung für Fußball.
Wie immer machte ich mich eine Viertelstunde vor Anpfiff auf den Weg und nahm meinen gewohnten Stehplatz ein. Fußballerisch war diesmal der Wurm drin und der FSV lag aufgrund einer desolaten Abwehrleistung zur Pause bereits mit 0:3 zurück. Die Laune auf den Rängen war natürlich im Keller. Auf der anderen Seite konnte man nur knapp 30 Gästefans sehen, die aber dennoch gut zu hören waren. Naja, ich hab mir erstmal ein Bier geholt und gehofft, dass es in der zweiten Halbzeit nicht noch schlimmer wird.
Auf dem Rückweg vom Bierstand wurde ich dann von einem jüngeren Typen angesprochen. Da ich seit Jahren auf Fußballplätzen eine Trainingsjacke meines Heimatvereins BSG Chemie Leipzig trage, war ich das ja schon gewohnt. Meistens waren das andere "Ossis" die mittlerweile ebenfalls hier leben und mir dann voller Stolz erzählen, das sie ehemalige Unioner, Auer, Magdeburger... sind und von den "alten Zeiten" schwärmen. Der Typ guckte auf meine Jacke und fragte mich ob ich aus Leipzig komme. Nach meiner Antwort kam dann der Satz: "Du ziehst die Jacke aus!"
"Ja klar" - dachte ich mir und ließ ihn einfach mal stehen.
Zurück auf meinem Platz genehmigte ich mir erstmal einen tiefen Schluck. Das sich das noch wie ein roter Faden durch den Rest des Abends ziehen sollte, ahnte ich da natürlich noch nicht.
Kurze Zeit später standen dann die ersten Ordner neben mir und batten mich höflich die Jacke eventuell auszuziehen, weil "Jemand der bei den Ultras was zu sagen hat, sonst mit Ärger droht". Da ich gegen keine Stadionordnung verstieß und den beiden Ordnern auch keine weitere Begründung einfiel, verneinte ich das und beobachtete erst einmal weiter das Spiel. Als dann der Einsatzleiter mit fünf weiteren Security Leuten auftauchte, kam auch Bewegung in die Umstehenden, die mich hier seit Jahren kennen. Schnell fanden sich auch eine Vielzahl an Fanutensilien der unterschiedlichsten Vereine, die ebenfalls stolz präsentiert wurden. Nach einer längeren Diskussion und völligem Unverständnis aller Beteiligten darüber, was das Problem der Ultras mit der Jacke eines Sechstligisten ist, wurde ich von zwei Jungs von FSV-Fanclub "Komische Vögel" eingeladen, das Spiel aus ihrem Block weiter zu verfolgen.
Die Beiden kannten mich schon von einigen andern Spielen vom Sehen und erzählten mir bei ein paar Bieren, dass sie Fans des 1.FC Lokomotive Leipzig sind, dem grössten Rivalen von Chemie Leipzig. "Wir haben gesehen, dass der Chemiker Probleme hat und haben uns gedacht wir können helfen" - was für eine unerwartete Geste, damit hatte ich nicht gerechnet (Danke!).
Nach dem Schlusspfiff standt es 0:4 und die beiden "komischen Vögel" luden mich ein, ein gemeinsames Foto mit ihrer Zaunfahne zu machen: "Die Jacke ziehst du aber aus!"
"Ja klar" - dachte ich mir und war sofort damit einverstanden.
Da sich zu diesem Zeitpunkt einige FSV Ultras ;-) am Stadionausgang versammelten und "Halsabschneider-Gesten" in meine Richtung machten, ließ ich die Jacke dann doch lieber an und verzichtete vorerst auf das gemeinsame Foto.
>"Vor denen ziehe ich die Jacke nicht aus!"<
Nach einer weiteren Diskussion zwischen Fanbeauftragten, Security und ein paar Halbstarken die mir noch drohten sich die Jacke draußen holen zu wollen, verabschiedete ich mich dann von den "komischen Vögeln" mit LOK-Vergangenheit und verließ das Stadion. Draußen hatte natürlich wie immer nur mein Fahrrad auf mich gewartet.
(gie)
2.Bundesliga: FSV Frankfurt – 1. FC Heidenheim
Endstand: 0:4 (0:3)
Ort: Stadion am Bornheimer Hang / Frankfurt am Main
Datum: Freitag, 02.10.2015